Der Gänswoad-Hof – Die Geschichte einer Leihgabe
Jetzt seht ihr, warum der Martin damals verraten wurde“, sagt Christian Dorner lachend auf der Weide zu uns, während die Gänseschar sich lautstark über die Anwesenheit von uns Fremden echauffiert. Mit Martin ist der Heilige Martin von Tours gemeint, der einst versucht haben soll, sich zwischen Gänsen zu verstecken, um der Bischofspflicht zu entgehen. Mit ihrem Geschnatter ließen ihn allerdings die Vögel prompt auffliegen.
Wir sind im Triestingtal, ganz im Süden des Biosphärenpark Wienerwald, unterwegs, um Anna Dorner, Biosphärenpark Botschafterin der Gemeinde Kaumberg, und ihren Mann Christian auf ihrem Bio-Hof, der „Gänswoad“, kennenzulernen. Die beiden leben hier mit ihren drei Söhnen. Sie halten Gänse, Milchvieh, Jungrinder, ein paar Hühner und Katzen und betreiben Forstwirtschaft. Christian übernahm den Hof in jungen Jahren von seinem Onkel, als dieser in Pension ging. Er ist hier aufgewachsen, hat viel von seinem Onkel gelernt. Anna ist ebenfalls mit der Landwirtschaft, neun Geschwistern und dem Mantra „Ich werd‘ alles, nur keine Bäuerin!“ aufgewachsen. Die Liebe hat ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht und auch sie auf die Gänswoad gebracht. Dass sie Bäuerin wurde, erscheint ihr retrospektiv als absolut gut und richtig.
Bio-Landwirtschaft – eine logische Entscheidung mit Herz
Anna und Christian betreiben den Hof biologisch. Für sie stellt das eine Selbstverständlichkeit dar. Christians Onkel schon wirtschaftete auf nachhaltige Weise. Handelsdünger war seit geraumer Zeit nicht mehr im Einsatz, die Kühe haben schon immer viel Zeit auf der Weide verbracht. Bio-zertifiziert war der Hof bei der Übernahme trotzdem noch nicht. Anna und Christian nahmen zuerst an einem Kurs für Bio-EinsteigerInnen teil. Dieser klärte sie über Wege zur Erfüllung der Bio-Richtlinien auf. „Die Außenwirtschaft hat eh immer gepasst, die Haltung im Stall haben wir mit wenig dramatischen Umbauarbeiten angepasst“, erklärt Christian. Ihren Hof biologisch zu betreiben erachten die beiden als logische Schlussfolgerung. „Wenn ich das Gras abmäh‘, muss ich es in den Stall bringen. Wenn ich aber gleich die Kühe rausbring‘, fressen sie es an Ort und Stelle“, erläutert Christian. Er sieht den Hof mit seinen Flächen als Leihgabe. „Ich darf ihn bewirtschaften, und ich will ihn weitergeben an meinen Sohn.“ Die Devise lautet, nicht ausbeuterisch zu handeln und nicht mehr zu erzwingen, als der Boden hergibt. „Wie wir mit unseren Ressourcen umgehen, das ist für mich Biolandwirtschaft“, bringt es Anna auf den Punkt.
Gänswoad, nomen est omen?
Seit zwei Jahren werden die Ressourcen am Hof für etwas Neues, Annas Herzensprojekt, aufgewendet: Gänse, genauer gesagt Weide-Gänse. Wer jetzt zu dem Schluss kommt, den Hofnamen „Gänswoad“ (Gänseweide) gäbe es wohl ebenfalls erst seit zwei Jahren, irrt. Der Hof und sein Name bestehen seit gut 700 Jahren. 1321 kaufte das Kloster Lilienfeld den Hof „Gansweid pei dem Caumberg“. Der Name rührt vom einst feuchten, hofnahen Wiesengrund her. Ein solcher eignete sich nämlich nur als Gänseweide.
Anna sorgt nun dafür, dass der Hofname wieder Programm ist. Wenn sie von ihren 33 Gänsen spricht, strahlen ihre Augen. Die Gänse kommen als einen Tag alte Küken zwischen Mai und Juni an den Hof. Sie werden zunächst unter der Wärmelampe im Keller aufgezogen. „Zu Anfang brauchen sie es sehr warm. Und dann wachsen sie wahnsinnig schnell! Da denkt man sich, kann das gutgehen, so ein enormes Wachstum? Sie bekommen auch ganz dicke Füße. Aber es wird“, erzählt Anna begeistert. Wenn die Küken, auch Gössel genannt, um die vier Wochen alt sind, dürfen sie probeweise, mit genügend Schatten, ins Freie. Solange die Küken noch im gelben, flauschigen Kinderkleid sind, sollten sie dabei nicht nass werden. „Das saugt sich sonst an wie ein Badeschwamm, dann verkühlen sie sich“, ergänzt Christian. Erst das weiße Fiederkleid der ausgewachsenen Gänse ist wasserabweisend. Mit rund sechs Wochen tragen sie dieses und können dauerhaft auf die Weide. Wie auch die Rinder müssen Gänse kaum zugefüttert werden. Das Grünland bietet ihnen genug Nahrung. „Sie verwerten, was da wächst. Das ist genial!“, freut sich Christian. Über Nacht müssen die Gänse dann in den Stall, um zu verhindern, dass sich das Kinderlied „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ bewahrheitet. Die Gänse zwischen Stall und Weide hin- und herzuleiten stellte sich als leichter heraus als Anna selbst erwartet hätte: „Das sind ganz intelligente Tiere. Die Gans weiß am nächsten Tag noch, wo sie gestern weggegangen ist.“ Die Gänse sind allerdings nicht nur intelligent, sondern auch echte Wasserliebhaberinnen. Das haben Annas Gänse selbst aber erst durch einen Zufall herausgefunden, erzählt Anna. „Einmal hab‘ ich die Stallfenster geputzt und da ist plötzlich der Regen gekommen. Ich wollt‘ das fertig machen und hab mir gedacht, die Gänse haben eh einen Baum, sollen sie sich unterstellen! Sie wollten zuerst unbedingt herein. Aber dann sind sie auf den Geschmack gekommen. Seitdem gehen sie auch in den Bach auf ihrer Weide, das kannten sie zuerst nicht.“
Schlachtung am Hof
Einmal im Jahr im November, rechtzeitig zu Martini- und Weihnachtsganslzeit, wird geschlachtet. Ob ein Tier schlachtreif ist, spürt man am Brustbein der Gans. Beziehungsweise spürt man es nicht – denn ist das Brustbein nicht mehr fühlbar, ist die Gans schlachtfertig. Anna und Christian schlachten selbst am Hof, denn bei Geflügel ist das erlaubt. Sie haben einen Beschau-Kurs gemacht, somit muss nicht extra ein Tierarzt an den Hof geholt werden. Die Beschau ist eine Untersuchung von Vieh und Fleisch zur Feststellung der Genusseignung für den Menschen. Die Schlachtung am Hof ist Anna und Christian wichtig. Auf diese Art bleiben die Tiere am entspanntesten. Heuer soll zum ersten Mal eine Rupfmaschine getestet werden, um das arbeitsintensive händische Rupfen zu ersetzen. Anna und Christian probieren gerne neue Dinge, denn „es gibt viele Betriebe, denen es nicht so gut geht und die den Anschluss verlieren. Aber man muss immer ein bisschen am Ball bleiben. Die Landwirtschaft ist nicht banal und man macht nicht immer dasselbe“.
Die Gänse werden dann in Direktvermarktung vertrieben, wer eine Gans bestellt, holt sie sich persönlich an einem der beiden Abholtage ab. Man sieht, woher man sein Produkt bezieht. „Wenn ich bio kaufe, unterstütze ich auch, dass die Gans ein gutes Leben gehabt hat!“, betont Christian.
„Es ist alle Tage schön!“
Zufrieden sind auf der Gänswoad aber nicht nur die Tiere. Anna und Christian reagieren auf die Frage nach besonders belohnenden und glücklichen Momenten in ihrem Alltag mit verdutzten Gesichtern. „Es sind alle Tage schön!“, erwidert Anna mit einer Selbstverständlichkeit und Fröhlichkeit, wie es nur wenige können. „Man ist seine eigene Chefin, man teilt sich die Arbeit selber ein. Außer du jagst mich“, lacht Anna mit einem Seitenblick zu ihrem Mann. Die beiden erzählen von innerer Zufriedenheit, aber auch vom Umgang mit schwierigeren Zeiten. „Sicher gibt’s Momente, da denkst du dir, hoffentlich komm‘ ich da wieder raus! Aber das hat jeder Mensch, oder? Man taucht da durch – und kommt wieder raus!“, versichert Christian.
Wer ein bisschen mehr von dem Glück der Familie Dorner spüren möchte, kann am Gaenswoad-Hof übernachten. Anna vermietet nämlich auch gemütliche Zimmer. Zumeist kehren PilgerInnen von der Via Sacra oder dem Wiener Wallfahrerweg bei ihnen ein. Denn beide Weitwanderwege führen durch Kaumberg. Anna schlüpft gerne in die Rolle der Gastgeberin. „Da tu ich draußen nicht viel, außer das Notwendige im Stall“, schildert Anna ihren Tag mit Übernachtungsgästen.
Auch wir durften die Gastfreundlichkeit der Dorners genießen. Am Ende unseres Besuchs tischt uns Anna noch eine herrliche, bodenständige Jause auf. Der Abschied fällt uns so noch schwerer. Ein Wiedersehen von Christian und Anna folgt aber bald, denn zum Abholen unserer bestellten Bio-Ganserl kommen wir wieder!
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