Määähen statt Mähen
Am Ende der Asphalt-Straße müsst ihr ordentlich Schwung nehmen“, empfiehlt uns Erich Frank noch am Telefon, als wir einen Tag Mitte August für unser Interview fixieren. Angekommen in Wopfing, nahe Wöllersdorf, ist uns bald klar wieso. Ein kurzes Steilstück und mehrere Bodenwellen später biegen wir scharf nach links auf ein baumumstandenes Grundstück ab und sind am Bioschafhof Sonnleitner der Familie Frank angekommen.
Auf dieses Interview sind wir besonders gespannt, denn heute sind wir mittendrin statt nur dabei. Einen ganzen Tag lang werden wir mit Schäfer Erich Frank unterwegs sein. Für neun Uhr sind wir zum Frühstück eingeladen. „Wir sind Nachteulen, deswegen beginnt unser Tag erst ein bisschen später“, lacht Erich. Auf der Terrasse genießen wir die frische Morgenluft, dazu gibt es die Energie für den Tag: Butterbrot, liebevoll geschmiert von Erich, einen Löffel Honig, eine Kaffee-Kakao-Köstlichkeit und selbst angesetztes Oregano-Kracherl. Erich und seine Frau Renate besprechen, wer heute die Betreuung welcher Herde übernehmen wird.
Gegen halb elf bricht Erich mit uns auf. Eins, zwei – die Border Collies Spirit und Gaël springen mit vollem Karacho auf die Ladefläche des Geländewagens – sie können es offenbar kaum erwarten, dass es losgeht. Die Zeit auf der Fahrt Richtung Perchtoldsdorf vertreibt uns Erich mit Anekdoten von seinen Schafen: Die Franks beweiden mit ihren Krainer Steinschafen, einer alten Haustierrasse, im Sommerhalbjahr einige Trocken- und Halbtrockenrasen entlang der Thermenlinie und im Steinfeld. Im Auftrag der Artenvielfalt ziehen sie so langsam von Wiesenstück zu Wiesenstück. Dabei sind Erich die Schafe schon des Öfteren ausgerissen – meist weil sie von freilaufenden Hunden erschreckt werden oder weil das Wild den mobilen Zaun niederreißt. Das bedeutet für die Franks dann meist lange Suchaktionen im Gelände – da bedarf es schäferischen Spürsinn. Manchmal wurden die Schafe auch schon von der Polizei nach Hause eskortiert. „Und einmal“, erzählt Erich lachend, „wurden sie von der Feuerwehr, alle Mann in Ausgehuniform, zusammengehalten, bis ich mit meinem Anhänger da war, um sie wieder einzusammeln.“
Angekommen in Perchtoldsdorf, dem ersten Stopp des Tages, fahren wir erstmal tanken. Mit einem großen Eisenschlüssel schraubt Erich den Hydranten auf, steckt ein kurzes Schlauchstück an und füllt den Kanister auf der Ladefläche mit frischem Wasser für die Schafe. Dann geht es weiter auf die Perchtoldsdorfer Heide. Nach zwei Kurven kommt auch schon die erste Schafherde in Sicht. Weiße und schwarze Wollknäuel entspannen genüsslich im Schatten eines großen Weißdornbusches.
Diese Herde darf heute ein Eck weiterziehen. „Zuerst schau‘ ich mir immer den Managementplan an“, erklärt Erich, während er ein Luftbild unseres Standortes studiert. „Seht ihr, den neuen Zaun müssen wir bis zu diesem Busch, und dann dort bis zu diesem kleinen Wegerl aufstellen.“ Ein Team von verschiedenen ExpertInnen hat den Beweidungsplan ausgearbeitet. Indem die Schafe die Fläche abgrasen, sorgen sie dafür, dass die Nährstoffe, die über die Atmosphäre in den Boden gelangen, der Fläche wieder entzogen werden. Gäbe es die Schafe nicht, würden sich bald zu viele Nährstoffe im Boden ansammeln. Jene Pflanzenarten, die daran angepasst sind, mit wenigen Nährstoffen auszukommen, würden schnell von konkurrenzstärkeren verdrängt werden – die Artenvielfalt würde zurückgehen. „Natürlich scheiden die Tiere einen Teil der Nährstoffe auch wieder aus. Aber es sind bei Weitem weniger als sie aufnehmen, denn in der Zwischenzeit wachsen und bewegen sie sich“, betont Erich. Könnte nicht auch ein Rasenmäher die Rolle des Nährstoffvertilgers übernehmen, fragen wir ihn. „Freilich, aber ein Rasenmäher schafft die Fläche innerhalb einer Stunde. Die Schafe brauchen dafür zwei Tage. Das gibt Insekten ausreichend Zeit, um in benachbarte Flächen auszuweichen.“
Und so geht es los. Vier Längen mobiler Elektrozaun, feinsäuberlich aufgerollt, werden ausgeladen. Noch sind die Schafe entspannt – sie wissen, das dauert noch. Zuerst wird der Eckpfeiler des Zaunes eingeschlagen, dann wird das Maschengeflecht langsam abgerollt und ausgelegt. Am Ende der Rolle angekommen, geht es wieder zurück zum Anfang. Jetzt werden die Steher einer nach dem anderen im Boden verankert. Das klappt, wenn es der Untergrund erlaubt, am besten mit dem Fuß. „Dafür sind Wanderschuhe nicht gemacht“, lacht Erich und deutet auf sein doch sehr robust aussehendes Schuhwerk. „Nach etwa einem halben Jahr zerlegen sie sich immer an derselben Stelle.“
An diesem Augusttag blüht die Heide in weiß, gelb und lila, es riecht nach Heu und Kräutern. Bei jedem Schritt jagen wir unzählige Heuschrecken auf, die vor uns her springen. Der Gesang der Zikaden bringt die Luft zum Flirren und immer wieder fährt uns ein warmer Windstoß durchs Haar. Man könnte fast meinen, wir wären im Süden Frankreichs. Nach gut einer halben Stunde sind wir einmal rundherum, der neue Zaun steht.
Jetzt wird es ernst. Erich schaltet den Strom am alten Zaun aus, entfernt zwei Steher und öffnet so einen Durchgang zwischen alter und neuer Weide. „Liiiii-na, Liiiii-na, Liiiii-na… Liiiii-na, Liiiii-na, Liiiii-na…“, ruft er mit fester Stimme. Und dann springen die Schafe alle gleichzeitig auf und donnern unter lautem Gemähe als großer wolliger Pulk auf das nächste Wiesenstück. Sofort schwärmen sie aus und beginnen das Gras, das hier noch dreißig Zentimeter hoch steht, abzurupfen. Hinter ihnen schließt Erich den Zaun und schaut ihnen einen Moment lang zufrieden zu.
Dann geht es weiter. Erich baut den alten Zaun ab, in der Zwischenzeit füllen wir drei große Wannen mit frischem Wasser aus dem Tank im Auto. Während sich die Behälter langsam füllen, haben wir Zeit, die Schafe zu beobachten. Richtig beruhigend, wie sie gemächlich vor sich hin fressen. Für die wunderbare Aussicht auf die Stadt haben sie keinen Blick übrig, sie interessieren sich nur für die g‘schmackigsten Halme. Allmählich ziehen Wolken am Himmel auf, fast so flauschig, wie die Schafe unter ihm.
Bevor wir bei dieser Herde fertig sind, muss noch ein Loch im Zaun geflickt werden. Dafür holt Erich eine blaue Werkzeugkiste aus dem Auto. „Es gibt eine Tool-Box für die Zäune, eine für die Tiere und eine für die Menschen“, erklärt Erich. „Wenn man so arbeitet wie wir, wenn man den ganzen Tag in einem großen Gebiet unterwegs ist, dann muss man alles mithaben.“ Im Gras knieend verbindet er die losen Enden des Maschengeflechts mit kleinen Metallklammern. Die letzte Länge Zaun wird aufgerollt und dann sind wir abfahrbereit. Zum Abschluss macht Erich noch ein Foto mit einer kleinen Kamera. „Ich mach‘ immer zwei Fotos von jeder Fläche – eines, wenn ich bei den Schafen ankomme, und eines, wenn ich wieder wegfahre.“ Und tatsächlich: Jetzt wo der alte Zaun abgebaut ist, offenbart sich erst, welche Arbeit die Tiere in den letzten Tagen geleistet haben. Bis auf ein paar Stängel ist alles ratzeputz abgefressen. „Jetzt schaut das wirklich ein bisschen wild aus, aber in einer Woche ist das die schönste Wiese“, sagt Erich.
Wir fahren weiter, in ein weniger frequentiertes Stück der Heide. Andere Schafherde, selbes Spiel: neuen Zaun aufbauen, Schafe umsiedeln, Wasser auffüllen, alten Zaun abbauen. Wir wundern uns, wann wir denn endlich die beiden Border Collies in Aktion sehen, denn bis jetzt haben die zwei Damen das Geschehen nur von der Ladefläche des Geländewagens aus beobachtet. „Ich setze die Hunde nur ein, wenn es wirklich nötig ist, wenn die Schafe lästig werden. Wenn man die Hunde zu oft zu den Schafen lässt, dann verlieren sie irgendwann ihre Wirkung. Der Trick mit den Hunden klappt ja nur, weil die Schafe Respekt vor ihnen haben.“ Heute also ein ruhiger Tag für Spirit und Gaël. Streicheleinheiten und Zuwendung bekommen sie aber trotzdem nicht zu wenige.
Inzwischen ist es früher Nachmittag und Erich nascht ein paar gelbe Kriecherl von einem Strauch. Wir fahren weiter nach Süden, zum Eichkogel nach Mödling. Hier gibt es nicht viel zu tun, die Weide wurde erst gestern umgesteckt. Also nur das Wasser auffüllen und die Ladung des Akkus für den Zaun überprüfen. Der Himmel ist inzwischen tiefschwarz, einzelne großen Tropfen fallen und wir fragen uns, ob wir gleich furchtbar nass werden. „Wichtig ist auch, immer genügend Wechselgewand im Auto zu haben. Sonst ist das nicht spaßig, wenn man den ganzen Tag in nasser Kleidung herumfahren muss“, gibt Erich lachend zu bedenken. „Wir arbeiten immer, egal ob es heiß, kalt, nass oder schon dunkel ist.“ Den Schafen scheinen die paar Tropfen nichts auszumachen, sie fressen einfach gelassen vor sich hin. „Wenn es nass, kalt und windig gleichzeitig ist, das mögen sie nicht so gern“, erklärt Erich. Auch deswegen haben sie im Winter einen großzügigen Offenfrontstall.
Über die herrliche Weinbergstraße fahren wir noch weiter nach Süden zum Pfaffstättner Heferlberg. Einen Wasser-Tankstopp später biegen wir in einen alten Hohlweg ein, mehr Schlagloch als Straße. Spätestens jetzt macht sich der Geländewagen bezahlt, langsam müht sich das Fahrzeug den Hang hinauf. „Das wird jetzt ein ordentliches Stück Arbeit“, warnt uns Erich vor, als er aus dem Auto steigt. Eine knappe Stunde später sind wir durchgeschwitzt, die Arme sind zerkratzt und unzählige kleine Kletten haben sich an unsere Kleidung geheftet. Dieser Teil des Heferlberges wurde erst vor ein paar Jahren entbuscht und wird noch nicht so lange von den Schafen der Familie Frank beweidet. Dementsprechend verbuscht ist die Fläche noch und dementsprechend lange dauert das Aufstellen des Zaunes im steilen, teils steinigen Gelände. Unterstützt wird die Entbuschungsarbeit der Sonnleitner’schen Schafe in ihrem Einsatzgebiet durch den engagierten Einsatz von Freiwilligen, etwa der Umweltbaustelle des Alpenvereins, den Biosphere Volunteers dem Landschaftspflegeverein oder dem Heideverein.
Immer wieder stolpern wir. Jede Rolle Zaun scheint schwerer zu sein als die letzte. Andauernd müssen wir kleine, dornige Zweige, die sich im Maschengeflecht verfangen, entwirren, bevor wir den Zaun weiter ausrollen können. Diese Herde ist schon ungeduldig, die Schafe folgen uns auf Schritt und Tritt. Immer wieder grollt der Donner, es hat deutlich abgekühlt, aber wir bleiben trocken. Der Hündin Spirit wird langsam etwas langweilig – sie versucht, sich zu einem kleinen Ausflug davonzustehlen. Doch ein resolutes „Hey! Stop!“ und ein strenger Blick von Erich genügen und schon liegt sie wieder brav unterm Auto. Schlussendlich ist es auch hier geschafft, die Schafe sind auf der nächsten Fläche, sichtlich glücklich und wir auch.
Wir fahren weiter, verlassen das Gebiet des Biosphärenparks, zum letzten Stopp des Tages. Seit einigen Jahren beweiden die Schafe der Familie Frank auch das Gebiet des Truppenübungsplatzes in Blumau-Neurißhof, südöstlich von Baden. Hier grasen die Männer der Runde. Langsam stellt sich bei uns eine gewisse Routine ein: Akkustand kontrollieren, Wasser wechseln. „Und doch“, sagt Erich, „ist jeder Tag anders. Man weiß nie, was passiert. Deswegen ist es am wichtigsten, flexibel zu bleiben, kreativ zu bleiben, immer wieder dazulernen und Neues zu probieren.“
Bei Einbruch der Dunkelheit kommen wir wieder zu Hause in Wopfing an. Renate hat schon einen griechischen Salat, mit dem letzten selbstgemachten Schafkäse der Saison, vorbereitet – „das beste Essen, um einen heißen Sommertag ausklingen zu lassen“, sagt Erich. Wir plaudern und erzählen von den Erlebnissen des Tages. Später, als wir schon längst zu Hause sind, hören wir immer noch das leise Mähen der Schafe, das sanfte Rascheln des Grases. Ein guter Tag.
Wer Interesse an den vielfältigen Produkten der Familie Frank hat, schreibt ein Email an office@bioschafhof-sonnleitner.at
Die Produktliste ändert sich saisonal und umfasst u. a. frisches Lammfleisch, verschiedenste Wurstwaren, süß und sauer Eingelegtes, Honig, Seifen sowie Lammfelle und Wollwaren.
Kontakt
Bioschafhof Sonnleitner
Familie Frank
Sonnleiten 341
2754 Wopfing
02633/48 679
www.bioschafhof-sonnleitner.at
office@bioschafhof-sonnleitner.at
Schäfer Erich verrät, wie man das Fleisch seiner Krainer Steinschafe besonders köstlich zubereitet. Hier geht es zum Rezept.