Kräutervilla
© BPWW/N. Kovacs
15 Jahre 15 Produkte,  Regionale ProduzentInnen

Wo der Mensch hingehört

Es ist ein Bilderbuch-Frühsommertag in Laab im Walde. So, dass es in der Sonne richtig angenehm und im Schatten erfrischend kühl ist. Tiefblauer Himmel, keine Wolke weit und breit. Nur das Brummen eines Rasenmähers durchbricht die Stille. Wir wissen nicht genau, bei welchem der Tore zum Kloster Laab wir anläuten sollen. Eine der Barmherzigen Schwestern öffnet uns die Tür und führt uns durch einen Gang hinaus in den Klostergarten. Da kommt auch schon Nikolaus Kramer vom Ausbildungszentrum Dorothea, in dem wir heute zu Gast sind, auf einem kleinen Traktor angefahren. „Warte einfach kurz dort drüben, wir kommen gleich!“, ruft er mit blitzenden Augen und tuckert weiter.

Wenige Minuten später, während der wir uns an der gepflegten Parkanlage, den vorbeidüsenden  Hummeln und den Blumen in allen Farben erfreuen, kommt Nikolaus Kramer mit seiner Kollegin Lydia Tantananon und einer Flasche Apfel-Ribisel-Brombeer-Saft im Schlepptau und setzt sich zu uns an den Holztisch. Der Saft schmeckt so, wie sich der Frühsommertag anfühlt, genau richtig süß und sauer. „Unsere Jugendlichen lieben diesen Saft. Am liebsten würden sie ihn mit nach Hause nehmen“, sagt Lydia Tantananon mit ihrem einnehmenden Lächeln.

Lydia Tantananon, Ausbildungszentrum Dorothea© BPWW/N. Kovacs
Lydia Tantananon, Kräuterspezialistin im Ausbildungszentrum Dorothea.

Der Wunsch nach viel mehr Möglichkeiten

Das Ausbildungszentrum Dorothea ist eine berufsqualifizierende Maßnahme, durch die Jugendliche konsequent auf den Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Angelehnt an die ganzheitliche Bildung der Waldorf-Pädagogik erlernen Jugendliche mit mindestens 50 Prozent Behinderung  Fertigkeiten, die es ihnen später ermöglichen sollen, einen Arbeitsplatz zu finden. Es ist uns unangenehm fragen zu müssen, aber was bedeutet denn „mindestens 50 Prozent Behinderung“ eigentlich? Nikolaus Kramer weiß auch nach fast zehn Jahren noch nicht, was das eigentlich heißen soll…

Es sind Jugendliche, die entweder eine körperliche oder geistige Beeinträchtigung haben. „Ich hatte zum Beispiel einmal einen schwerhörigen Jugendlichen, oder einen, der Probleme mit der Bewegungsfreiheit einer Körperhälfte hatte“, erklärt Lydia Tantananon. „Und ganz oft liegt eine Entwicklungsverzögerung, wie eine kognitive Schwäche oder emotionale Unreife vor“, fügt Nikolaus Kramer hinzu. „Manche können zum Beispiel gar nicht rechnen, andere können super rechnen. Die Jugendlichen sind sehr, sehr unterschiedlich.“

In drei Gruppen werden insgesamt 18 Jugendliche in den Bereichen Gemüsebau, Parkpflege oder Hauswirtschaft ausgebildet. Das Gelände wird nach den Richtlinien der biologisch-dynamischen Landwirtschaft, die wie die Waldorf-Pädagogik auf Rudolf Steiner zurückgeht, bewirtschaftet.

Die Natur gibt sehr viel vor

Gefördert wird das Ausbildungszentrum vom Land Niederösterreich und vom Fond Soziales Wien. Der  Besuch des Ausbildungszentrums wird eingangs für drei Jahre bewilligt. Die Jugendlichen kommen meist mit 15 oder 16 Jahren ins Ausbildungszentrum, nachdem sie die Schulpflicht hinter sich haben. In der geschützten Atmosphäre des Klostergartens können sie zu sich kommen und dürfen sich selbst kennenlernen. „Man merkt, dass sie hier wirklich aufatmen und sich ausbreiten können“, sagt Lydia Tantananon. „Die Jugendlichen kommen oft mit einem Rucksack, voll mit schlechten Erfahrungen“, erzählt Nikolaus Kramer. Bis die Jugendlichen Vertrauen fassen, sich wohlfühlen und öffnen, dauert es oft lange. Erst im zweiten oder dritten Ausbildungsjahr kommen Dinge manchmal überhaupt erst hoch, die dann therapeutisch aufgearbeitet werden sollen, bevor man praktische Fähigkeiten vermitteln kann. Deswegen kann auch eventuell um eine Verlängerung der Ausbildungszeit angesucht werden.

Kamille© BPWW/N. Kovacs
Die biologisch-dynamischen Kräuter-Spezialitäten kann man auch bei den Adventmärkten des Ausbildungszentrums Dorothea erstehen.

Im Ausbildungszentrum Dorothea werden die Jugendlichen ernst genommen und als vollwertige MitarbeiterInnen betrachtet. Für manche Jugendlichen ist es oft das erste Mal, dass sie diese Erfahrung der Wertschätzung machen. „Wir können nur angeben, welche Arbeiten es gibt und wie man sie durchführt, aber das wirkliche Arbeiten mit der Natur und mit der Erde, das machen sie schon selbst. Und sie sind motiviert!“, betont Lydia Tantananon. „Hochmotiviert!“, bestätigt Nikolaus Kramer.

Lavendel, so weit das Auge reicht

Wohin man im Klostergarten schaut, gedeihen prächtige Lavendelbüsche. Lydia Tantananon verarbeitet die Pflanzen gemeinsam mit anderen Kräutern zu allerlei Teemischungen, Kräutersalzen, Blütenzucker, Lavendelsäckchen und vielen anderen Köstlichkeiten.

Neben der fachlichen Kenntnisvermittlung werden viele Fähigkeiten erlernt, die für den späteren Arbeitsmarkt wichtig sind. Das beginnt etwa damit, dass die Jugendlichen pünktlich zur Arbeit erscheinen oder die selbständige Anreise – oft von weit her – mit den öffentlichen Verkehrsmitteln meistern. Auch vermittelt ihnen die Arbeit einen strukturierten Tagesablauf mit festgesetzten Beginn-, Pausen- und Endzeiten. Die Jugendlichen lernen auch, als Team zu arbeiten, denn oft sind sie in Kleingruppen über das Gelände verteilt. Für viele ist es ein Problem, länger bei der Sache zu bleiben – sie lernen, sich nicht so schnell ablenken zu lassen. Auch wie man sich einem Vorgesetzten gegenüber verhält, vermitteln die MitarbeiterInnen des Ausbildungszentrums. „Wir erklären ihnen dann, was an einem anderen Arbeitsplatz nicht möglich wäre, dass der Chef da nicht glücklich wäre“, erzählt Lydia Tantananon. Auch eine gewisse Arbeitshaltung bekommen die Jugendlichen vorgelebt: „Es werden die anstehenden Arbeiten besprochen, verteilt und dann wird einfach gearbeitet“, erklärt Nikolaus Kramer.

Die Natur und die Arbeit an sich geben dabei viel vor, denn sie ermöglichen von selbst viele pädagogische Situationen, ohne dass viel dazu getan werden muss. „Das ist sehr schön, dass wir da nichts manipulieren oder kreieren müssen. Manchmal ist der Druck einfach von allein da.“ Wenn beispielsweise ein Gewitter heranrollt oder eine Lieferung ansteht.

Kräuterbeet© BPWW/N. Kovacs
Lydia Tantananons Tipp für erfolgreiche Hobby-KräutergärtnerInnen: Lieber einige wenige Pflanzen wirklich gut kennen! Wenn man sich mit einem Kraut intensiv auseinandersetzt, kann man daraus viele Produkte herstellen, die man ganz unterschiedlich einsetzen kann.

Die Nadel im Heuhaufen

Die MitarbeiterInnen des Ausbildungszentrums kommen jede Woche zusammen und besprechen die Situation der einzelnen Jugendlichen, wie es ihnen gerade geht, welche Möglichkeiten sie haben, wohin es für sie gehen könnte. So erarbeiten alle gemeinsam ein Bild von den Jugendlichen. „Dafür braucht es eine gute Menschenkenntnis, ein Beobachten und ein Wahrnehmen, welche Arbeiten wem gut tun, was die Jugendlichen brauchen“, sagt Lydia Tantananon. Nikolaus Kramer findet dieses gemeinsame Arbeiten „sehr kraftgebend“, vor allem auch in schwierigen Situationen oder enttäuschenden Momenten, wenn die Jugendlichen trotz aller Anstrengungen ihrerseits und des Ausbildungszentrums keinen Arbeitsplatz finden.

 „Es ist leider eine Tatsache, dass es in Österreich wenig Interesse gibt, Menschen mit Beeinträchtigung am Arbeitsmarkt zu inkludieren. Es wird viel von Inklusion gesprochen, aber leider ist das Gegenteil der Fall“, ist Nikolaus Kramer betrübt. Vereinzelt gibt es natürlich auch positive Beispiele: Im Rehazentrum Laab im Walde wurde für einen Jugendlichen des Ausbildungszentrums neben seinen Tätigkeiten als Hausmeister eine eigene Stelle als Portier geschaffen. Er begrüßt die Gäste, hilft ihnen mit dem Gepäck und sorgt mit seiner sonnigen Art für gute Stimmung im Speisesaal. All das war nur möglich, weil die Offenheit dem Jugendlichen gegenüber vorhanden war. Solche Stellen sind aber leider die Nadel in einem sehr großen Heuhaufen.

Biene auf Wildrose© BPWW/N. Kovacs
Die Wildrosen im Ausbildungszentrum Dorothea bieten den Bienen Nahrung.

Die MitarbeiterInnen des Ausbildungszentrums Dorothea wünschen sich, dass es viel mehr solcher Betriebe gäbe, die jungen Menschen mit Beeinträchtigung ein Teilhaben am sozialen Geschehen ermöglichen. „Das ist eigentlich das Menschlichste, was man machen kann. Dass Menschen teilhaben an diesem gesellschaftlichen Impuls, etwas für alle anderen zu tun. Und dass sie ihr Leben so gestalten können, wie sie es möchten“, sagt Nikolaus Kramer mit einem etwas traurigen Lächeln. Finden die Jugendlichen keinen passenden Arbeitsplatz, werden sie oft als so stark beeinträchtig eingestuft, dass sie mit etwa 25 Jahren in Frühpension gehen. „Das ist eigentlich das Schlimmste, was man machen kann, einem jungen Menschen zu sagen: Dein Arbeitsleben ist eigentlich schon gelaufen, das ist schon abgeschrieben“, meint Nikolaus Kramer.

Dabei gäbe es viele Möglichkeiten, entsprechende Stellen für Menschen mit leichten bis mittleren Beinträchtigungen zu schaffen. „Natürlich sind unsere Jugendlichen ein bisschen langsamer und verstehen nicht alles. Aber sie sind motiviert und wollen arbeiten“, ist Nikolaus Kramer überzeugt. Gerade in der Landwirtschaft ist das Potenzial groß: Vieles läuft heute nach industriellen Maßstäben ab und oft wird nur mehr das Nötigste gemacht. „So viele Raine werden beispielsweise nicht mehr gepflegt… Mit ein bisschen Herz und Gestaltungsqualität könnte man in der Landwirtschaft und der Landschaft vieles bewirken“, führt Nikolaus Kramer aus.

© BPWW/N. Kovacs

Das Gemüse aus dem Ausbildungszentrum gibt es außerdem im Hofladen am Annahof.

Während der Zeit der Corona-bedingten Heimisolation konnten die Jugendlichen nicht ins Ausbildungszentrum kommen. „Die Jugendlichen hatten wirklich Sehnsucht, sie wollten kommen“, erzählt Lydia Tantananon. Gut, dass ab dieser Woche wieder Leben im Klostergarten einziehen darf.

Flasche Lavendeloxymel© Ausbildungszentrum Dorothea/Lydia Tantananon

Für alle, die nicht bis zum Adventmarkt warten wollen, hat Lydia Tantananon ein Rezept für einen Lavendel-Sauerhonig.

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